Hintergrund des Konzepts „Sicherer Hafen“
Die Situation an Europas Außengrenzen
Tausende von Menschen sind auf der Flucht. Seit 2014 sind über 20.000 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken. Alleine im vergangenen Jahr waren es knapp 1.900 Todesfälle. Und das sind nur die bestätigten Zahlen. Und es werden immer mehr. Staatliche Seenotrettung gibt es nicht, zivile Seenotrettung wird weiterhin kriminalisiert und praktisch verhindert.
Die Camps in Griechenland sind überfüllt. Die Türkei, die gerade einen Angriffskrieg auf die Kurd:innen in Nordsyrien gestartet hat, wird als Wachhund der europäischen Außengrenzen eingesetzt. Ebenso wie Libyen und die sogenannte libysche „Küstenwache“, welche mit den Milizen kooperiert und von EU-Staaten mitfinanziert wird. Über die Folter, Vergewaltigungen und Morde in den libyschen Lagern wurde vielfach berichtet.
Geflüchtete werden im Ganzen als Bedrohung betrachtet und behandelt.
Dem wollen wir etwas entgegen setzen!
Die politische Bedeutung eines “Sicheren Hafens”
Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung Münsters zum Sicheren Hafen ein kleiner Schritt. Aber es ist ein wichtiger Schritt. Ein erster Schritt.
Es geht erstmal um Unterstützung der Seenotrettung. Seenotrettung ist dabei sicher auch eine humanitäre Maßnahme. Gleichzeitig ist ihre Handlung selbst von großer politischer Bedeutung: Sie versucht, zu verhindern, dass die tatsächliche Außengrenze Europas ihre tödlichste Konsequenzen entfaltet.
Zu den größten Problemen für Seenotrettung zählt nun die Tatsache, dass es nach einer Rettung extrem schwierig ist, einen Hafen zu finden, in dem man einlaufen kann. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Länder am Mittelmeer den Einlauf auch deshalb versuchen zu verhindern, weil es keine Regelungen gibt, die eine europaweite Aufnahme der aus Seenot Geretteten ermöglichen. Gleichzeitig ist es im Interesse rechter Regierungen, diese Situation auszureizen, um aus den NGOs einen öffentlichen Feind zu machen und sich als Beschützer des Vaterlandes zu inszenieren.
So ist das Konzept des „Sicheren Hafens“ entstanden: Städte im europäischen Inland erklären sich extra dazu bereit, aus Seenot Gerettete aufzunehmen – über ihre Verteilungsquote hinaus –, während die EU-Staaten noch zögern oder gar aktiv blockieren.
Damit ist das Konzept des Sicheren Hafens etwas, was die Kommunen dazu aktiviert, sich in die Bundes- und EU-Politik einzumischen. Dabei leistet ein Sicherer Hafen mehrere Aufgaben auf einmal:
- Er signalisiert zusammen mit anderen Städten, dass es eine Aufnahmebereitschaft gibt, die über die festgelegten Zahlen hinausreicht. Damit bieten Sichere Häfen eine unmittelbare andere Lösung für Verteilungsfragen und eröffnen andere Handlungsmöglichkeiten.
- Der Sichere Hafen erzeugt eine Solidarität unter Städten, von Palermo bis Potsdam, die es auszuleben gilt.
- Dabei blickt der Sichere Hafen aufs Ganze: Es gibt ein radikaleres Problem, wenn Menschen, die fliehen (oder sich dazu entscheiden, aus welchem Grund auch immer, ihren Lebensort zu wechseln), es nicht tun können. Es gibt ein Problem, wenn Rechte und Lebenschancen an den Grenzen von Nationalstaaten anfangen bzw. enden und diese Grenzen zum Massengrab werden. Perspektivisch geht es selbstverständlich um sichere Fluchtwege, um Bewegungsfreiheit, um eine Welt, in der jede:r das Recht hat, zu bleiben und zu gehen, und Menschenrechte dort zu bekommen, wo man sich niederlässt. Hier können Städte eine große Rolle spielen.
Das Konzept des Sicheren Hafens hat selbst eine politische Bedeutung. Es ist dabei erst der Anfang eines Prozesses.
Deshalb ist das Argument, mit dem uns zum wiederholten Male Politiker:innen begegnet sind, Münster sei ja bereits aufnahmebereit und der „Sichere Hafen“ bloße „Symbolpolitik“, nicht zutreffend. Es geht nicht nur um „mehr“ Aufnahmebereitschaft – es geht darum, Seenotrettung zu unterstützen und eine andere Perspektive für die europäische Aufnahmepolitik zu eröffnen. Das aber ist hochgradig politisch.